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Die ROC gGmbH-Zwei Seiten einer Medaille?

Was ist die ROC gGmbH und woher kommt sie?

Mit dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 sind die Rundfunkklangkörper in beiden Teilen Berlins in besonderer Weise betroffen.

Gemäß Artikel 36 des Einigungsvertrages wird bis Ende 1991 der Rundfunk der DDR abgewickelt und ca. 14000 Beschäftigten gekündigt. Klangkörper des DDR-Rundfunks werden ersatzlos aufgelöst, darunter so renommierte Ensembles wie das Große Rundfunkorchester Berlin mit seinem Chefdirigenten Robert Hanell, die Big-Band, das Folklore-Ensemble, das Tanzstreichorchester u.a.

„Der Osten ist in gewohnter Manier abgewickelt, der Westen hat nichts eingebüßt, obwohl nach der Vereinigung Deutschlandfunk und RIAS eigentlich ohne Sendeauftrag dastehen. Ostberlin fällt dem SFB als vergrößertes Gebühreneinzugsgebiet zu und die kleine Sendeanstalt SFB dem ARD-internen Finanzausgleich anheim, mit 70 Millionen Mark im Jahr – das ist zufällig etwa der Betrag, den der ebenfalls defizitäre SFB von Gebührenzahlern in Ostberlin mehr erwartet.“ 

Die Zeit“, „Rundfunkkolonie Ost“ , 3. Okt.1991

Während der Große Rundfunkchor und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin ihre institutionelle Sicherheit verlieren, sehen sich die drei nach 1945 gegründeten Rundfunkklangkörper im Westteil Berlins über Nacht in eine breite und starke Konkurrenzsituation gestellt.

Ziel der politischen Diskussionen in dieser Übergangszeit ist es, zum Erhalt der Klangkörper „unter Wahrung der künstlerischen Eigenart der Ensembles“, eine künstlerisch zukunftsweisende Lösung für fünf Berliner Rundfunkklangkörper zu finden und …

…“die Lasten sollten im Sinne der infrage stehenden „Ost/West“-Ensembles gerecht verteilt sein.“

3. Februar 1993, „Modell zur Lösung des Problems der Klangkörper im bundesweiten Hörfunk“, S.3

So ist es 1993 der politische Wille, die Ensembles unter einem gemeinsamen Dach zu erhalten.

ROC gGmbH – Beitritt oder Neugründung?

So wie die Rundfunkkultur den großen Zeitenwandel spiegelt, so reflektiert die ROC gGmbH den langen Weg zur deutschen Einheit.

Wie das wiedervereinte Deutschland, so ist auch die ROC gGmbH (HRB 4058) keine Neugründung auf Augenhöhe.

Der Gesellschaftsvertrag der seit 1956 bestehenden RSO gGmbH (HRB 4058) i.d.F. von 1988, wird bei gleichbleibender Rechtsform zur Grundlage für die institutionelle Anbindung der verbleibenden Rundfunkklangkörper in Berlin.

Die finanzierenden Gesellschafter der RSO gGmbH waren bis zum Ende des Jahres 1993 zu 2/5 der Bund und zu 3/5 das Land Berlin.

Die Bundesförderung des 1946 gegründeten RIAS-Orchesters erfolgte zunächst im Wege der „Berlin-Hilfe“ („Kultur und staatliches Handeln“; Claas Friedrich Germelmann, S.283). Während der SFB Proben- und Büroräume dem RSO (West) kostenfrei bis zum 01.01.1994 zur Verfügung stellte und die seit 1956 bestehenden Produktionsverträge mit dem RSO/DSO weiterführt.

Intendant der RSO gGmbH ist in dieser Zeit seit 1990 Dr. Elmar Weingarten. Im Juni 1993 wird der RSO-Gesellschaftsvertrag neu gefasst, die Gesellschafterverhältnisse neu geordnet und 4 weitere Klangkörper werden zum 01.01.1994 in die RSO gGmbH eingebracht, vom RIAS BERLIN das RIAS-Tanzorchester und der RIAS-Kammerchor, vom Deutschlandsender Kultur der Große Rundfunkchor und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin.

Im Dezember 1994 wird der Firmenname in „Rundfunk-Orchester und -Chöre gGmbH“ geändert. Gleichzeitig werden das Radio-Symphony-Orchester RSO(West) in Deutsches Symphonie Orchester und der Große Rundfunkchor (Ost) in Rundfunkchor Berlin umbenannt.

Die „Rundfunk Orchester und Chöre gGmbH“ wird seit dem 01.01.1994 nun von 4 Gesellschaftern getragen: dem Deutschlandradio (40%), der Bundesrepublik Deutschland (35%), dem Land Berlin (20%) und dem SFB/heute Rundfunk Berlin-Brandenburg (5%).

Die Idee: Ost und West als kulturelle Einheit zu institutionalisieren

„Die einst außergewöhnliche Gründung wurde zum deutsch-deutschen Erfolgsprojekt, mit vier exzellenten Ensembles und Kulturbotschaftern für Berlin und Deutschland – ein Glücksfall für die deutsche Kultur- und Medienlandschaft.“

Stefan Raue, Intendant des DeutschlandRadio

ROC gGmbH – Glücksfall oder Schicksalsgemeinschaft

Vor dem Hintergrund des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 und der sich daraus ergebenen dramatischen Veränderungen im kulturellen Bereich ist der Erhalt der verbliebenen fünf Berliner Rundfunk-Klangkörper ein Glücksfall.

Alle Vermögenswerte und -rechte, auch alle Tondokumente und deren Verwertungsrechte, sowie alle immaterielle Vermögenswerte, Instrumente, Notenmaterial (Notenarchive), Bücher und Schriften der beiden Klangkörper RSB und Rundfunkchor Berlin gehen unentgeltlich auf die ROC gGmbH über.

Das ehemalige Westorchester wird von der Stellenzahl und Ausstattung dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin angeglichen, d. h. aufgestockt und mit einer zusätzlichen Beraterstelle ausgestattet. Das Orchester wird als eigener Betriebsteil, mit eigener Wirtschaftsabrechnung geführt. Der Intendant der ROC gGmbH ist über 20 Jahre gleichzeitig auch Intendant des ehemaligen Westorchesters. Ebenso wird ein neuer Probensaal (Ferenc Fricsay-Saal) finanziert und gebaut.

So ist ein strukturelles Ungleichgewicht von Beginn an vorgegeben.

Der Intendant der ROC gGmbH und in Personalunion Intendant des DSO Dr. Dieter Rexroth hat dem DSO mit seinem Chefdirigenten Kent Nagano zusätzliche ca. 6 Millionen versprochen. („Die Welt“; 16.09.99)

Die finanziellen Umverteilungen zu Gunsten des West-Klangkörpers führen dazu, dass der Chefdirigent des RSB Rafael Frühbeck de Burgos aus Protest gegen diese Pläne vorzeitig seinen Vertrag beendet. (Tagesspiegel; 19.10.99 Jök).

Als Folge der Unternehmenspolitik von Dr. Dieter Rexroth wird die RIAS Big Band 2001 aufgelöst und aus dem ROC-Gesellschaftsvertrag gestrichen. (Moritz Eggert; Musik-und Mediengeschichte 3)

Dr. Dieter Rexroth legt in diesem Kontext sein Amt als Intendant der ROC nieder, bleibt aber mit einem Beratervertrag (Die Welt13.08.2001, Manuel Brug) bis 2006 als Intendant des DSO weiterhin für den West-Klangkörper tätig.

Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin wählt sich in dieser Situation Marek Janowski zum neuen künstlerischen Leiter und Chefdirigenten. Marek Janowski positioniert das RSB in der vordersten Reihe der deutschen Orchester.

Von den leitenden Geschäftsführern der ROC gGmbH trugen Elmar Weingarten (Intendant des DSO 1990-1995) , Dieter Rexroth (Intendant des DSO 1996-2006), Bettina Pesch und Gernot Rehrl den Titel „Intendant“ und waren damit gleichzeitig in Personalunion Intendanten der ROC und des DSO bzw. Berater des DSO. Erst nach fast 20 Jahren, mit der Berufung von Thomas Kipp als Geschäftsführer (nmz, 22.06.2012) und seinem Nachfolger Anselm Rose versuchen die Gesellschafter der ROC gGmbH die künstlerische Eigenständigkeit der Ensembles zu gewährleisten.